Ein Abend, über Schuld, Chancen und Verantwortung, der bewegt hat: „Neustart statt Rückfall“ in der Moritzkirche Augsburg: "gefangen/entlassen/vergessen?" mit reger Publikumsbeteiligung
- Daniela Hirt

- 29. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Gestern fand in der Moritzkirche in Augsburg die Podiumsdiskussion „gefangen-entlassen-vergessen: Neustart statt Rückfall“ statt und ich bin noch immer berührt von der Offenheit und Tiefe des Austausches an diesem Abend. Die Moritzkirche hat mit dieser Veranstaltung einen eindrucksvollen Raum geschaffen, in dem über Themen gesprochen werden konnte, die in unserer Gesellschaft oft verdrängt oder vereinfacht werden: Schuld&Scham, Verantwortung, Strafe und die Hoffnung auf einen echten Neubeginn.
Die Moderation von Marion Zöller war herausragend: sensibel, klug geführt und immer mit einem Gespür für die richtigen Fragen. Sie hat es geschafft, die unterschiedlichen Perspektiven der Podiumsgäst:innen in einen echten Dialog zu bringen, kein Nebeneinander von Meinungen, sondern ein gemeinsames Ringen um Verständnis und Veränderung. Auch die Organisation und Atmosphäre verdienen großes Lob: Das Publikum war engagiert, die Fragen lebendig, und die Moritzkirche bot mit ihrer besonderen Mischung aus Spiritualität und gesellschaftlicher Offenheit den idealen Rahmen für ein solches Gespräch.
Nach dem einführender Vortrag von Dr. Thomas Galli, Rechtsanwalt für Strafrecht, ehem. Leiter einer Justizvollzugsanstalt wurde nicht nur über den Strafvollzug gesprochen, sondern vor allem über die Frage, was nach der Haft geschieht: Welche Verantwortung trägt die Gesellschaft, wenn Menschen eine zweite Chance brauchen? Und was braucht es, damit „Resozialisierung“ nicht nur ein Begriff bleibt, sondern gelebte Realität wird? Für mich als Expertin für Restorative Justice war es besonders wertvoll, meine Erfahrungen und Ansätze in diesen Kontext mit einzubringen. Es ging nicht nur um theoretische Modelle, sondern um die sehr reale Frage, wie Versöhnung und Wiedergutmachung konkret gelingen können und wie eine Gesellschaft aussehen muss, die an die Möglichkeit des Wandels in Bezug auf Straffälligkeit, Resozialisierung und Justizvollzug glaubt.
Mit auf dem Podium, neben Herrn Dr. Galli und mir noch folgende wunderbar engagierte und kluge Kollegen:
Hartmut Kahle Öffentlichkeitsarbeit, Hoppenbank e. V., Bremen. Mitarbeit in der freien Straffälligenhilfe hoppenbank.info
Christian Müller Leiter des Bodelschwingh-Hauses, Augsburg / Wiedereingliederungszentrum. Einrichtungsleitung des Bodelschwingh-Hauses, arbeitet mit Haftentlassenen an Integration, Beschäftigung und psychosozialer Stabilisierung. diakonie-augsburg.de
Fabian de Hesselle Beim SKM Augsburg in der Straffälligenhilfe tätig (Bereichsleitung / TOA, Täterarbeit HG), verantwortlich für praktische Unterstützung bei Entlassungsbegleitung und Wiedereingliederung skm-augsburg.de
Schuld, Strafe und zweite Chance: Dr. Thomas Galli stellte die gegenwärtige Strafpraxis kritisch infrage und betonte, dass Strafe häufig mehr der Vergeltung als der Wiedergutmachung dient. Daran anknüpfend durfte ich die Perspektive der Restorative Justice einbringen als einen Ansatz, Schuld durch Verantwortung und Begegnung zu "transformieren". Wir sprachen darüber, wie tief das gesellschaftliche Bedürfnis nach Strafe und Sühne verwurzelt ist und wie es sich mit einem versöhnlicheren, dialogorientierten Verständnis von Gerechtigkeit verändern lässt.
Zivilgesellschaft, Hoffnung & Vertrauen: Mehrfach wurde betont, dass Resozialisierung nicht im Gefängnis geschieht, sondern in der Mitte der Gesellschaft, in Betrieben, Nachbarschaften, Kirchengemeinden. Hoffnung und Vertrauen wurden als entscheidende Voraussetzungen benannt: Hoffnung, dass Veränderung möglich ist, und Vertrauen, dass Menschen mehr sind als ihre Tat. Gerade hier wurde deutlich, wie sehr Netzwerke und persönliche Beziehungen tragen können.
Chancen, Netzwerke & Vergleichsperspektiven: Der Blick nach Skandinavien machte Mut: In Ländern wie Norwegen liegt die Rückfallquote deutlich niedriger und nicht zuletzt, weil man dort auf Normalisierung, Vorbereitung und gesellschaftliche Verantwortung setzt. Diese Ansätze zeigen, dass Vertrauen kein Risiko, sondern eine Investition in den sozialen Frieden ist.
Für mich persönlich war dieser Abend ein starkes Zeichen dafür, dass Gerechtigkeit Beziehung braucht. Restorative Justice Kreisdialoge öffnen Räume, in denen sich Betroffene, Verantwortliche und und Menschen, die weder tatbetroffen noch tatverantwortlich begegnen können. Genau solche Räume brauchen wir gesellschaftlich.
Die Diskussion hat eindrucksvoll gezeigt, dass Resozialisierung kein Randthema, sondern ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Werte ist. Wie wir mit Menschen umgehen, die „gescheitert“ sind, sagt viel darüber aus, wie ernst wir Menschlichkeit und Verantwortung wirklich nehmen. Restorative Justice erinnert uns daran, dass Gerechtigkeit mehr ist als Strafe, sie bedeutet, Beziehungen wiederherzustellen, Vertrauen zu wagen und Räume für Verantwortung zu schaffen. Ich bin sehr dankbar, Teil dieses Podiums gewesen zu sein. Die Gespräche, Begegnungen und ehrlichen Momente dieses Abends haben deutlich gemacht, wie viel Kraft in echtem Zuhören und offenem Austausch liegt. Solche Veranstaltungen sind kostbar, weil sie die Lebensrealität von Inhaftierten und ihren Angehörigen sichtbar machen und zeigen, dass positive Veränderung mit Vernetzung, Vertrauen und Begegnung beginnt. Wenn das gelingt, ist ein Neustart möglich. Für jeden von uns.











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