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Im größten Gefängnis Perus/Block 16 für Sexualstraftäter zu Besuch

Am 25.07.23 hatte ich die Möglichkeit mein Restaurative Justice Konzept BoAS und die Umsetzung des Täter-Opfer-Kreis (TOK) in der JVA in Bielefeld- Brackwede im größten Gefängnis Perus im Penal de Lurigancho dem Psychologischen- und Sozialdienst vorzustellen. Durch meinen persönlichen Kontakt mit einer Peruanerin vom Ministerio Público (Staatsministerium) bekam ich diese Einladung- was großes Glück war.

San Juan de Lurigancho gehört mit einer Bevölkerung von über einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern zu den bevölkerungsreichsten Distrikten Limas. Hier befindet sich das Gefängnis Penal de Lurigancho. Das Gefängnis mit den 21 Blöcken ist für 3000 Insassen ausgelegt. In ihm leben jedoch etwa 10.000 Gefangene. Viele wurden ohne Strafprozess inhaftiert und leben ohne rechtskräftige Verurteilung im selben Block mit verurteilten Straftätern. Die Inhaftierten können innerhalb der Gefängnismauern mit Waffen, Alkohol, Drogen und anderen Waren handeln und sich frei bewegen. Sämtliche Vorgänge wie Gesetzgebung, Reinigung und Ernährung werden von den Inhaftierten in den jeweiligen Blöcken autonom geregelt. Viele Inhaftierte können ohne die Hilfe von Familien im Gefängnis kaum klarkommen. Ohne Geld müssen für die anderen Häftlinge arbeiten z.B. ihnen sexuelle Dienstleistungen anbieten. Die Schlafplätze in den Blöcken sind limitiert, so dass den mittellosen Häftlingen und denjenigen, welche am unteren Ende der Hierarchie stehen nur die Übernachtung auf den Gängen oder außerhalb der Gebäude möglich ist.

An den Wochenenden findet in einem Block des Gefängnisses eine Diskothek mit alkoholischen Getränken und Prostituierten statt. Deshalb ist HIV das größte Gesundheitsproblem in dem Gefängnis Lurigancho. An Besuchstagen und den Wochenenden haben Männer ungeschützten Sex mit Prostituierten, was zu einer starken Ausbreitung der Viruserkrankung beiträgt. Weitere Infektionsquellen sind Tätowierungen und Injektionsnadeln beim Drogenmissbrauch.


Als wir im Gefängnis ankamen wurden ich, die Dolmetscherin, ihr peruanischer Ehemann und eine Schweizer Sozialarbeiterin, die uns begleitete auf einen Freiplatz geführt, wo sich bereits alle Inhaftierten des Blocks 16 befanden. Es war eine Tonanlage aufgebaut und dem gegenüber einem festlichen langen Tisch. An dem sollten wir Platz nehmen und uns wurde Milchreis, Cracker und Wasser serviert. Ich war hochgradig erstaunt als ich realisierte, dass die Inhaftierten ein Programm für uns vorbereitet hatten und eine enthusiastische Rede gehalten wurde. Ich hatte nicht mit solch einem Willkommen gerechnet, obwohl ich nach knapp vier Wochen in Peru eigentlich wissen müsste, dass hier IMMER alles anders kommt als ich mir in meinem Kopf zurecht denke. Ich hatte mich vorbereitet auf eine Gefängnisführung und dass ich anschließend einen Input gebe über mein Konzept BoAS und die Umsetzung des Täter-Opfer-Kreises in der JVA Bielefeld- Brackwede. Anschließend wollte ich mit dem Team Penal de Lurigancho in den fachlichen Austausch gehen und etwas über ihr TAS-Programm erfahren, was sie im Block 16 mit den Sexualstraftätern durchführen. So sollte es auch kommen, doch zuerst bekamen wir von den Inhaftierten selbstgeschriebene Songs und Gedichte zu hören und traditionelle Tänze zu sehen.

Der Tenor aller Darbietungen war, dass die Inhaftierten nun wüssten, was falsch gelaufen sei in ihrem Leben, sie hätten im Laufe der Inhaftierung eine andere Perspektive eingenommen und würden weiterhin auf eine gute Resozialisierung hoffen. Wir waren berührt von den Darbietungen. Ich überprüfte mein Gefühl sehr genau, ob wir „Vorzeigehäftlinge“ präsentiert bekamen, die angepasst waren, in der Hoffnung auf Haftvorteile oder ob es wahrhaftige Reflexionen und Veränderungen von Denken und Fühlen waren. Ich mag mich täuschen, doch mein Gefühl sagte mir, dass dort Männer standen, die tatsächlich etwas begriffen haben und die sich ernsthaft ein anderes Leben nach der Haft wünschen als das vor der Haft. Nach einer Stunde "Vorstellung" bekamen wir mehrere Geschenke überreicht und gingen weiter in eine Art Käfig, um dort miteinander zu arbeiten. Wir besuchten auf dem weg dorthin die Bibliothek, wo wir erfuhren, dass innerhalb des Behandlungsprogrammes mehrere Schriftsteller mit den Inhaftierten Schreibworkshops abgehalten haben und eine der Geschichten sogar einen Preis gewonnen hat. Ich werde mir die Geschichte sehr genau durchlesen und Wort für Wort ins Deutsche übersetzen.


Meinem Vortrag wurde interessiert gelauscht und viele Fragen zur Umsetzbarkeit, zur Zielgruppe und zum Erfolg gestellt. Die Idee, dass opferorientiertes Arbeiten im Gefängnis möglich und denkbar ist, war für die Kolleginnen und Kollegen aus dem Psychologischen- und Sozialdienst dort sehr inspirierend. Dass Betroffene und Inhaftierte zusammenkommen war für Alle eine neue Idee.


Danach wurde uns von dem Behandlungsprogramm mit den Sexualstraftätern berichtet.

Das TAS-Behandlungsprogramm ist ein interdisziplinäres und spezialisiertes Behandlungsprogramm von Sexualstraftätern, die das erste Mal inhaftiert wurden im Penal de Lurigancho. Es wird in vier Phasen durchgeführt: Sensibilisierung und Motivation, Suche nach Veränderung, persönliche Entwicklung und positiver Lebensstil und positive Lebensweise und Bewältigungsstrategien für psychosoziale Risiken. Die Module umfassen Menschenrechte, Gender, Integrität, Interkulturalität, Intersektionalität, Intergenerationalität; sowie Inhalte aus dem Risiko-Bedürfnis-Responsivität-Modells RNR[1]. Das Programm wird als einzige Behandlungsmaßnahme in Gefängnissen vom peruanischen Strafvollzugssystem INPE finanziert und als Beitrag zur öffentlichen Sicherheit und zum sozialen Wohlergehen des Landes verstanden. Der Erfolg scheint sehr hoch zu sein, uns wurde erzählt, dass in den letzten Jahren nur einer von 600 entlassenen Sexualstraftätern erneut inhaftiert wurde.


Nach vier Stunden eines intensiven Miteinanders verließen wir voller Eindrücke das Gefängnis. Von beiden Seiten ist ein weiterer Austausch gewünscht. Ich hoffe, dass ich im kommenden Jahr noch einmal die Möglichkeit bekomme nach Peru zu reisen und bin gespannt, ob sich etwas in Richtung opferorientiertes Arbeiten im peruanischen Gefängnis bewegt hat. Für eine gelingende Resozialisierung und zum Opferschutz!


„No somos Invisibles“ – wir sind nicht unsichtbar!






1 Das Risiko-Bedürfnis-Responsivität-Modell ist ein Modell, das in der Kriminologie verwendet wird, um Empfehlungen zu entwickeln, wie Gefangene auf der Grundlage des Risikos, das sie darstellen, und dessen, was sie brauchen, bewertet werden sollten und in welchen Umgebungen sie untergebracht werden sollten, um die Rückfallquote zu verringern. Es wurde erstmals 1990 vorgeschlagen und basiert auf den Forschungen, die in den 1960er und 70er Jahren unter anderem von Lee Sechrest und Ted Palmer zur Klassifizierung von Straftäterbehandlungen durchgeführt wurden. Es wurde hauptsächlich von den kanadischen Forschern James Bonta, Donald A. Andrews und Paul Gendreau entwickelt. Es gilt als das beste Modell, das es gibt, um die Behandlung von Straftätern zu bestimmen, und einige der besten Instrumente zur Risikobewertung, die bei Straftätern verwendet werden, basieren darauf. Quelle: Wikipedia


Die Fotos vom Gefängnis stammen ebenfalls aus dem Internet, da wir keine Foros machen durften, sie entsprechen aber der Realität.












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