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Alleinerziehung ist nicht sexy?! So formulierte die Redakteurin von 37 Grad/ZDF ihr Intro ins Thema


Bei mir in der Beratungspraxis war in der vergangenen Woche ein Filmteam, die eine Sendung über drei Alleinerziehende Mütter machen und mich als Expertin hinzugezogen haben. Neben dem, dass mein Arbeitsschwerpunkt das Betroffenenorientierte Arbeiten im Strafvollzug als Restorative Justice Maßnahme ist, mache ich viele Gewaltpräventionsprojekte. Unter anderem die Beratung von Alleinerziehenden im Rahmen der Hotline des VAMV e.V. https://www.vamv-niedersachsen.de. Die vielen Belastungsfaktoren, die Alleinerziehende durch das alleinige schultern von Existenzsicherung und carearbeit haben und die schwierigen Rahmenbedingungen in der Gesellschaft und im Arbeitsleben bedeuten für 43% der Ein-Eltern-Familien ein Leben in Armut. Die Redakteurin Frau Dille-Wolff vom ZDF stellte ganz richtig fest, dass Alleinerziehende mit ihren Herausforderungen keine angemessene Akzeptanz in der Gesellschaft hätten und auch politisch Luft nach oben sei. Es wird viel für Barrierefreiheit getan (längst nicht genug!) und viel über Diversitäten gesprochen, doch das Thema "Alleinerziehung" findet nicht so richtig seinen Platz mit der Relevanz die es hat. Irgendwie, so sagte sie, sei das Thema nicht "sexy".


Ich freue mich sehr auf die Ausstrahlung der Sendung 37Grad beim ZDF, die hoffentlich einen guten Beitrag leistet zur Sensibilisierung für die besonderen Herausforderungen und Bedarfe der Gesellschaft, nämlich für genau 2,76 Millionen alleinerziehende Eltern in Deutschland. Davon 2,27 Millionen Mütter und etwa 487.000 Väter im Jahr 2022 (Quelle Statista).


Um einen kleinen Einblick zu geben über welche Themen wir sprachen:


Leistung für Alleinerziehende

Prinzipiell können Alleinerziehende je nach ihrer konkreten Situation verschiedene staatliche Leistungen beziehen: Kindergeld, Unterhaltsvorschuss (falls Sie keinen Kindesunterhalt vom anderen Elternteil erhalten), Bürgergeldleistungen/ Arbeitslosengeld (bei Erwerbslosigkeit/ Bürgergeld auch, falls das Einkommen nicht reicht), Kinderzuschlag & Wohngeld (nur für Erwerbstätige mit zu kleinen Einkommen) und natürlich Elterngeld, falls sie nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder einschränken. Sofern Familien Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld erhalten, können sie Bildungs- und Teilhabeleistungen für ihre Kinder bekommen ( Übernahme von Ausflügen in Schule/ Kita; Klassenfahrten; Schüler*innenbeförderung; Nachhilfe; Pauschalleistung für Schulbedarf oder 15 Euro für Mitgliedschaft im Sportverein oder Musikunterricht), sofern im Einzelfall ein entsprechender Bedarf besteht. Auch können sich die Eltern von den Elternbeiträgen für die Kindertagesbetreuung befreien lassen.

Erwerbstätige können in der Steuerklasse II zudem den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende von jährlich 4.260 Euro für das erste Kind + 240 Euro für jedes weitere Kind im Haushalt gelten machen.


Psychische Belastung von Alleinerziehenden, warum manche kaum Kraft haben, alle Anträge auszufüllen, warum sie über ihre Kräfte agieren (müssen). Alleinerziehende tragen die Hauptverantwortung für die Betreuung und Versorgung eines Kindes im Alltag – parallel zu Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung. Während in Paarfamilien zwei Erwachsene mit den Familienaufgaben und nicht planbaren Herausforderungen, wie der Krankheit eines Kindes, jonglieren können, müssen Alleinerziehende allein den ständigen Spagat zwischen Erwerbs- und Carearbeit bewältigen. Weil die Rahmenbedingungen für eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit von Alleinerziehenden vielerorts nicht gegeben sind, haben sie und ihre Kinder zudem mit 42 Prozent ein überproportional hohes Armutsrisiko. Zwar gibt es verschiedene Leistungen, die Einelternfamilien mit wenig Geld unterstützen sollen (s.o.) – die Anspruchsvoraussetzungen sind aber kompliziert zu durchschauen. Es kann passieren, dass Alleinerziehende zwischen den Ämtern hin und her geschickt werden, bis irgendwann endlich feststeht, auf welche Leistungen in ihrem Einzelfall ein Anspruch besteht. Für Anträge auf Sozialleistungen wie Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld müssen Leistungsberechtigte dem Staat zudem ihre gesamten finanziellen Verhältnisse offenlegen, was einen vergleichbaren Aufwand mit einer Einkommenssteuererklärung bedeutet.


Welche Belastung gibt es für die Kinder? Wie erlebt sie die Kinder Alleinerziehender? Was ist das schlimmste?


Studien haben gezeigt, dass die Familienform per se keinen Einfluss auf das Wohlbefinden von Kindern hat. Wenn Eltern mit Geldsorgen und Existenzängsten zu kämpfen haben, belastet das aber auch ihre Kinder. Fehlt das Geld für gesellschaftliche Teilhabe, so kann sich das negativ auf ihre Entwicklungschancen auswirken. Insbesondere Hobbies und Freizeitaktivitäten wie Musikunterricht, eine Mitgliedschaft im Sportverein, ein gemeinsamer Urlaub/Ausflug oder ein Schwimmbadbesuch sind für Familien mit kleinen Einkommen kaum leistbar. Kinder haben dann deutlich weniger Möglichkeiten, neue Erfahrungen zu machen, sich auszuprobieren und/oder Teil einer Gruppe mit gemeinsamem Ziel zu sein. Viele Alleinerziehende sparen an sich selbst und finden kreative Lösungen, damit ihre Kinder einen Kindergeburtstag feiern oder auch einmal in den Zoo gehen können.


„Welche Faktoren führen in die Armut?“


Alleinerziehende sind zu 85 Prozent Frauen, die in frauentypischen Berufen weniger verdienen als Männer mit vergleichbarem Ausbildungsniveau In Paarfamilien sind es die Mütter, die überwiegend ihre Erwerbstätigkeit zu Gunsten der Kinderbetreuung einschränken oder ganz aufgeben. Die berufliche Ausgangssituation von Müttern und Vätern unterscheidet sich dann nach einer Trennung: Mütter müssen häufig erst wieder ihre Arbeitszeit ausweiten oder den beruflichen Wiedereinstieg meistern. Vielerorts passen aber die Öffnungszeiten von Kitas und Schulhorten nicht zu den Arbeitszeiten von Alleinerziehenden. Auch die Arbeitswelt ist häufig wenig familienfreundlich und nimmt kaum Rücksicht auf ihre Belange. Gerade in frauentypischen Berufen wie in der Pflege oder im Einzelhandel sind Arbeitszeiten zu Randzeiten frühmorgens, am späteren Abend oder am Wochenende an der Tagesordnung – die Kita öffnet um 8:00, die Schicht beginnt aber schon um 6:00 oder 7:00 Uhr. 38 Prozent der Alleinerziehenden arbeiten deshalb außerhalb ihres erlernten Berufs oder nur in Teilzeit mit entsprechend geringerem Einkommen.


Der Staat gibt so viele Hilfsangebote, warum „jammern“ so viele Alleinerziehende?


Alleinerziehende wollen keine „Hilfe“, sondern gute Rahmenbedingungen, um die Existenz für sich und ihre Kinder eigenständig zu sichern und den Alltag gut bewältigen zu können. Hier muss noch viel passieren, beispielsweise hinsichtlich eines grundsätzlichen Rechts auf Arbeitszeitsouveränität für Beschäftigte und Kinderbetreuung zu Randzeiten. Die vorhandenen Leistungen für Familien sind außerdem nicht gut auf Alleinerziehende abgestimmt und fressen sich durch gegenseitige Anrechnung häufig wieder auf. Zum Beispiel wird das Kindergeld aktuell vollständig bei der Bemessung des Unterhaltsvorschuss berücksichtigt. Unterhaltsvorschuss und Kindergeld werden aber auch vollständig auf Bürgergeldleistungen angerechnet.




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