top of page

projektleitung • fortbildung • beratung

Bildschirmfoto 2021-06-24 um 13.21.03.png

Über die urzeitliche Straf- und Rachelust unserer Gesellschaft und wie nötige Reformen des Strafrechtsystem doch möglich sein könnten...

  • Autorenbild: Daniela Hirt
    Daniela Hirt
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit

In seinem Vortrag im Freitagsforum „Crime to Community“ der Hochschule Nordhausen, der Katholischen Hochschule in Berlin und der Technischen Hochschule Nürnberg am 2. Mai 2025 stellte Thomas Galli zentrale Überlegungen zur Reform des Strafrechtssystems aus seinem neuen Buch „Wie wir das Verbrechen besiegen können: Ideen für eine Überwindung der Strafe“ vor. Im Anschluss gab es noch Zeit für Fragen und Beiträge. Ich schätze zum einen das Format „Crime to Community“ sehr, dessen Initiator:innen auf wunderbare Weise Praxis und Wissenschaft miteinander verbinden, und zum anderen Thomas Galli, der auch in diesem Rahmen anhand von Kernthesen darlegte, dass ein grundlegender Wandel des Strafsystems nur möglich sei, wenn er von der gesamten Gesellschaft mitgetragen werde. Diese These teile ich zu 100%. Obwohl es breite Zustimmung in der Gesellschaft dafür gibt, dass gerade Freiheitsersatzstrafen nicht immer sinnvoll sind, lässt sich kaum gesellschaftliche Leidenschaft für eine Reform mobilisieren.


Was ich im Kern verstanden habe versuche ich an dieser Stelle wiederzugeben:

 

Thomas Galli betonte in seinem Vortrag, dass der Wunsch nach Vergeltung tief im Menschen verankert sei- wer selbst Leid erfahren habe oder miterlebt habe, dass einer anderen Person Leid zugefügt worden sei, empfinde oft den Wunsch, dass Tatverantwortliche ebenfalls leiden müssten. Dieses Bedürfnis nach Strafe entspringe einem urzeitlichen Gefühl von Gerechtigkeit, das früher in kleinen Gemeinschaften notwendig gewesen sei, um Sicherheit und Zusammenhalt zu wahren. Heute jedoch habe der Staat das Gewaltmonopol inne, das diesem instinktiven Racheimpuls entgegenstehe. Die tief verankerte Straflust sei daher nicht mehr zielführend.

 

Thomas Galli sprach auch darüber, dass Strafen häufig demütigend wirkten und dadurch nicht zur Reintegration von Menschen beitragen würden. Während Menschen früher trotz einer Unrechtstat in der Gemeinschaft verbleiben mussten, würden sie heute eher ausgegrenzt. Dies verstärke die soziale Isolation und könne zur weiteren Kriminalisierung führen.

 

Er machte auf die tiefen psychologischen und sozialen Ursachen von Kriminalität aufmerksam. Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch erfahren hätten, seien stärker gefährdet, später selbst straffällig zu werden. Auch in wohlhabenden Verhältnissen könne emotionale Kälte- eine sogenannte Wohlstandsverwahrlosung- zur Entstehung von Straftaten beitragen. Gesellschaft und Staat müssten sich daher präventiv mit diesen Risikofaktoren beschäftigen, anstatt allein auf Bestrafung zu setzen. Ein weiterer Aspekt, den Thomas Galli betonte, sei die oftmals verzerrte gesellschaftliche Wahrnehmung von Kriminalität. Obwohl die Zahl der Straftaten in Deutschland laut einer Studie des Kriminologischen Instituts Sachsen aus dem Jahr 2022 rückläufig sei, habe sich (auch) durch die mediale Berichterstattung der gegenteilige Eindruck in der Bevölkerung gefestigt. Die daraus entstehende Angst beeinflusse das gesellschaftliche Empfinden von Gerechtigkeit und führe zu einem Strafbedürfnis, das nicht auf Fakten, sondern auf Emotionen basiere. Thomas Galli sprach über ein grundsätzliches Umdenken: Die Idee von Strafe als bloßer Vergeltung müsse überwunden werden. Es bedürfe weniger Täterzentrierung und mehr Einbindung der Betroffenen und ihres Umfelds. Besonders gravierend sei die soziale Schieflage im Strafvollzug - etwa Obdachlose, die nur 0,3% der Bevölkerung ausmachen würden, seien überproportional häufig inhaftiert. Statt standardisierter Haftstrafen sprach sich Thomas Galli dafür aus, dass Richterinnen und Richter über Strafmaß, aber nicht über die Ausgestaltung der Sanktionen entscheiden sollten. Eine staatlich eingesetzte Kommission könne besser überlegen, welche Maßnahmen der Resozialisierung bei einem gewissen Strafmaß am besten dienen könnten. Langfristig sollten Gefängnisse, wie wir sie heute kennen, abgelöst werden. Freiheitsstrafen sollten nur noch für gefährliche Menschen gelten. Abschreckung durch Strafe funktioniere nicht- was hingegen sinnvoll sei, sei der gezielte Ausbau der sozialen Arbeit.

 
 
 

Comments


bottom of page